Es gibt schönere Anlässe, um Recht zu behalten. In meiner Analyse zu Googles Höhenflug im Herbst vergangenen Jahres, „Google bei 350 Dollar: Wie weit noch?“, schrieb ich: „Die Aktie ist bereits jetzt verdammt hoch bewertet. Ein minimaler Einbruch der Wachstumsentwicklung dürfte als Multiplikatoreffekt für die Aktie eine verheerende Wirkung haben.“
Einen Monat später, als Google locker die 400-Dollar-Hürde nahm, habe ich im Beitrag „Die Aktien von Google sind zu heißgelaufen“ erneut auf die große Gefahr eines steilen Kursrückschlags hingewiesen:
„Selbst, wenn die langfristigen Perspektiven stimmen – und es scheint ganz so –: So kann es kaum weitergehen. Vielmehr glaube ich, dass die Gefahr eines empfindlichen Rücksetzers wächst, wie ihn Apple etwa im April erfahren musste. Damals verlor die Aktie zeitweise bis zu 25 Prozent an Wert. Zumindest die Aktie von Google ist priced for perfection. Ein Haar in der Suppe, und der Appetit könnte vergehen.“
Exakt das ist nun passiert. Nachdem die Google-Aktie noch vor zwei Wochen bei 472 Dollar ein neues Allzeithoch aufgestellt hatte, taumelte das Papier eben im nachbörslichen Handel bis auf 350 Dollar, ehe Schnäppchenjäger die Kaufgelegenheit ergriffen und Google wieder bis auf 380 Dollar in die Höhe schickten.
Bei all der Volatilität ist es enorm schwer, sich einen Überblick über die angemessene Bewertung von Google zu verschaffen. Fest steht zumindest: Eine Verfehlung der Analystenschätzungen wird bei einer momentum-getriebenen Aktie wie Google natürlich böse bestraft.
>> Googles Quartalsenttäuschung nur ein einmaliger Ausfall?
Doch sind rund 55 Dollar, die Google nachbörslich eingebüßt hat, nun böse genug? Die Analystenschätzungen waren von Gewinnen vor Sonderposten und Abschreibungen in Höhe von 1,76 Dollar je Aktie ausgegangen, Google lieferte indes nur 1,54 Dollar je Aktie. 22 Cents je Aktie an den Analystenschätzungen vorbei: Da kann ein Highflyer wie Google kaum um die Bruchlandung herumkommen.
Die meistdiskutierte Frage der Wall Street dürfte sich nun damit beschäftigen, ob Googles Quartalsenttäuschung als ein einmaliger Ausfall zu bewerten ist – so wie es die Erklärung des höheren Steuersatzes und ungünstiger Währungseffekte glauben machen will –, oder ob Googles Wachstumsdynamik ins Stocken geraten ist?
>> Wohin tendiert Google: Richtung 100 oder 600 Dollar?
Nur allzu gern würde ich den smarten Google-Gründern Sergey Brin und Larry Page den benefit of the doubt zusprechen, nämlich von einer einmaligen Jugendsünde ausgehen – und die Aktie heute vor Handelseröffnung auf ermäßigtem Kursniveau einsammeln.
Doch so einfach ist die Lesart für mich nicht. Wenn Google bereits in dieser frühen Phase seiner Geschäftsentwicklung Probleme bekommt, der Wachstumserwartung der Wall Street zu entsprechen, könnte Henry Blodget mit seinem 100-Dollar Kursziel eher Recht bekommen als Safa Rashtchy von Piper Jaffray mit seinen 600 Dollar.
Machen wir uns also einmal an die Rechnung: Nach den Eindrücken der Vorquartale zu urteilen, wäre ich normalerweise im Schlaf davon ausgegangen, dass Google im Jahr 2006 die Konsensschätzungen von einem Gewinn in Höhe von 8,76 Dollar je Aktie würde zumindest treffen, wenn nicht gar schlagen können. Gewinne in Höhe von 10 Dollar je Aktie erschienen mir noch vor zwei Monaten nicht abwegig – und selbst das wäre mir für ein Engagement zu teuer gewesen.
>> Google kommt gegenwärtig immer noch auf ein KGV von 43
In Anbetracht der heutigen Quartalsverfehlung müssen sich Anleger jedoch nun ernsthaft um die 8,76 Dollar je Aktie sorgen. Auf einem Kursniveau von gegenwärtig 380 Dollar im nachbörslichen Handel wird Google bei einem Gewinn je Aktie in Höhe von 8,76 Dollar immer noch mit einem KGV von 43 bewertet.
Für eine Aktie, die gerade so in line berichtet, ist das eine ziemlich hohe Bewertung. Selbst ein ehemaliger Momentumliebling wie eBay, der an Wachstumsdynamik verloren hat, kann aktuell noch die Analystenerwartungen übertreffen und wird mit einem KGV von 40 günstiger bewertet als Google.
>> Google wird weiterhin deutlich höher bewertet als Apple
Noch eklatanter fällt Googles Bewertungsaufschlag im Vergleich mit einem anderen Börsenliebling des vergangenen Jahres aus, mit dem die Internetsuchmaschine 2005 fast fortwährend in einem Atemzug genannt wurde – die Rede ist natürlich von Apple. Nun ist es sicher nicht ideal, die Hardware- mit der Internetbranche zu vergleichen, doch allein der Vergleich in der Geschäftsentwicklung unterstreicht, mit welchem Goodwill der Wall Street Google immer noch gehandelt wird.
.Im abgelaufenen Quartal setzte Google gerade einmal 1,29 Milliarden Dollar ohne Traffic Acquisition Costs (TAC) um, die der Nasdaq-Konzern an seine Vertriebspartner abführt. Der Gesamtumsatz von 1,92 Milliarden Dollar legte gegenüber dem Vorjahr zwar um beachtliche 86 Prozent zu, fällt jedoch nur etwa ein Drittel so groß aus wie bei Apple, das seine Umsätze um respektable 65 Prozent auf nunmehr 5,79 Milliarden Dollar steigern konnte. So herum betrachtet, wirkt es gar verwunderlich, warum Google mit einem immer noch merklich höheren KGV als Apple den Besitzer wechselt.
>> Die Wall Street muss Google sehr lieben, wenn sie die Aktie heute nicht fallen lässt wie eine heiße Kartoffel
Und noch ein letzter Vergleich, der unterstreicht, mit welch enormem Vorschuss Google-Anteilsscheine derzeit immer noch gehandelt werden: Exxon, das derzeit mit 390 Milliarden Dollar bei weitem höchst bewertete Unternehmen der Welt, verdiente im abgelaufenen vierten Quartal mit satten 10,7 Milliarden Dollar fast doppelt so viel wie Google im Geschäftsjahr 2006 umsetzen soll! Dennoch kam Google gestern noch auf ein Drittel von Exxons Börsenwert.
Keine Frage: Die Wall Street muss Google sehr lieben, wenn sie die Aktie heute bei Handelseröffnung nicht fallen lässt wie eine heiße Kartoffel. Im nachbörslichen Handel bei ECN Island haben sich schon wieder viele Befürworter der Aktie gefunden – das Papier stieg in den vergangenen drei Stunden seit Bekanntgabe der Quartalszahlen schnell wieder auf nunmehr 383 Dollar – ein Plus von fast 10 Prozent – bei einer Käufernachfrage von mehr als 3-zu-1.
Die Google-Aktie dürfte heute zum Schlachtfeld zwischen Bullen und Bären werden.